Indische Arbeiter nähen in einer Bekleidungsfabrik im Slum von Dharavi1. Was ist das Lieferkettengesetz?

Das Lieferkettengesetz ist ein in Deutschland im Jahr 2021 beschlossenes Gesetz, das Unternehmen verpflichtet bei ihren internationalen Lieferketten auf die Einhaltung von Menschenrechten und (in begrenztem Umfang) Umweltschutz zu achten. D.h. ein deutsches Unternehmen dürfte dann z.B. keine Waren beziehen, die beim herstellenden Unternehmen mit Kinderarbeit oder mit Sklavenarbeit hergestellt wurden.

Die Verantwortung der Unternehmen bezieht sich dabei auf das eigene Unternehmen und die direkten Zulieferer des Unternehmens.

Hintergrund sind

  1. unmenschliche und gefährliche Arbeitsbedingungen in Ländern, aus denen deutsche Unternehmen Rohstoffe und Produkte beziehen.
  2. Umweltzerstörung / -verschmutzung durch Zulieferer in den jeweiligen Ländern. Dies insbesondere im Zusammenhang mit gesundheitsschädlichen Arbeitsbedingungen.

Das bekannteste Beispiel für die menschenverachtenden Arbeitsbedingungen in anderen Ländern ist der Einsturz eines Geschäftsgebäudes in Bangladesch. Dabei sind 2013 mehr als 1100 Arbeiter:innen gestorben und doppelt so viele Menschen verletzt worden.

2. Wer hat das Lieferkettengesetz entworfen?

Es wurde von der aktuellen Bundesregierung entworfen, im Wesentlichen verursacht durch massiven Druck verschiedener Verbände und öffentlicher Petitionen mit Bürgerbeteiligung.

Das Gesetz dient auch der Umsetzung von Vorgaben der UN. Die EU arbeitet ebenfalls an Gesetzen, die in den nächsten Jahren verabschiedet werden dürften und möglicherweise strenger als das deutsche Lieferkettengesetz ausfallen.

Einige andere Länder haben schon länger ähnliche Gesetze. Insgesamt gibt es also einen internationalen Trend zu mehr Menschenrechten bei der Arbeit.

3. Für wen gilt das Lieferkettengesetz? Welche Unternehmen sind betroffen?

Tatsächlich sind nur sehr wenige Unternehmen betroffen. Viel weniger als man aufgrund des großen Wirbels um das Gesetz vermuten könnte.

Von den 3 288 306 Unternehmen in Deutschland (ohne Kleinunternehmer) sind tatsächlich nur ca. 2 900 Unternehmen betroffen. Also weniger als ein Tausendstel aller Firmen.

In der bisher vorliegenden Form gilt das Gesetz nur für Unternehmen mit mehr als 1000 Mitarbeitern. In späteren Jahren soll geprüft werden, ob weitere Unternehmen in die Pflicht genommen werden.

4. Was müssen Unternehmen tun? Was fordert das Lieferkettengesetz?

Unternehmen dürfen nur mit Zulieferern arbeiten, die die gewünschten Standards erfüllen. In der Praxis könnten dann zum Beispiel die Verträge schon entsprechende Vereinbarungen enthalten. D.h. der Auftraggeber verpflichtet den Auftragnehmer zur Einhaltung. Die Unternehmen müssen dann also auch bewerten, ob ihre direkten Zulieferer / Vertragspartner diese Vorgaben erfüllen.

Das Hauptziel ist die Einhaltung von Menschenrechten gegenüber den Arbeitnehmern. D.h. es soll sichergestellt werden, dass in den Unternehmen menschenwürdige Arbeitsbedingungen herrschen. Dazu zählen z.B. die konkreten Arbeitsbedingungen, Arbeitszeiten, Arbeitsplatzsicherheit und angemessene Bezahlung.

5. Wie ist der aktuelle Stand beim Lieferkettengesetz?

Das Gesetz sollte ursprünglich am 20. Mai 2021 verabschiedet werden. Durch Widerstände innerhalb der Regierung kam es zu einer Verschiebung. Das Gesetz ist in den Wochen danach noch etwas entschärft worden um die Risiken für die Unternehmen zu reduzieren.

Es wurde dann endgültig am 11. Juni 2021 verabschiedet.

  • CDU/CSU, SPD und Grüne haben für das Gesetz gestimmt.
  • Die Linke hat sich enthalten.
  • AfD und FDP haben das Gesetz abgelehnt.

6. Ab wann gilt das Lieferkettengesetz?

Das Gesetzt gilt ab 2023. Das gibt den Unternehmen also eineinhalb Jahre Zeit, entsprechende Prozesse vorzubereiten.

  • Ab 2023 gilt das Gesetz für ca. 700 Unternehmen, die mehr als 3 000 Beschäftigte haben.
  • Ab 2024 gilt das Gesetz für ca. 2 200 weitere Unternehmen, die zwischen 1 000 und 3 000 Beschäftigte haben.

7. Was sind die Kritikpunkte am aktuellen Gesetzentwurf?

Mit der Kritik verhält es sich so, wie jeder es wohl erwarten würde.

  • Die Unternehmen jammern, dass sie zu stark belastet werden.
  • Die Befürworter des Gesetzes jammern, dass es zu unternehmensfreundlich ist und nicht weit genug geht.

In Sachen Menschenrechte und Umweltschutz leben erfahrungsgemäß mehr als 50% der Firmen nach der Devise: “Wasch mich, aber mach mich nicht nass.” In den Broschüren und Firmenwebseiten werden vollmundige Erklärungen und Selbstverpflichtungen veröffentlicht, im Unternehmensalltag kümmert’s niemanden. Die Werte-Bekundungen sind so glaubwürdig wie der seit 2018 populäre Satz: “Ihre Privatsphäre und der Schutz Ihrer Daten liegen uns sehr am Herzen!”

Reale Folgen für die Unternehmen sind mehr Bürokratie und eine teilweise Verteuerung der Lieferketten. Ein ernstzunehmender Schwachpunkt des Gesetzes ist –  wie bei Gesetzen oft der Fall – dass viele Formulierungen schwammig sind. Was ist denn bitteschön “angemessen”? Und wie geht man damit um, wenn man die realen Bedingungen bei einem Zulieferer nicht zuverlässig prüfen kann?

Solche Dinge werden dann erst im Laufe mehrerer Jahre durch konkrete Fälle und richterliche Entscheidungen festgelegt.

Die Kämpfer für Menschenrechte und Naturschutz bleiben auch Ihrer Rolle treu. Egal wie das Gesetz ausfällt, Sie sind immer am Jammern und immer unzufrieden. Wenn es nach Ihnen ginge, müßte man die komplette Führungsriege der 10 000 größten Unternehmen wohl schon mal vorsorglich in Handschellen legen.

Sie bemängeln hauptsächlich zwei Punkte:

  • Dass zu viele Firmen sich überhaupt nicht an dem Gesetz orientieren müssen.
  • Dass nur der direkte Vertragspartner kontrolliert werden muss. Das macht es natürlich einfach, die Menschenrechtsverletzungen in der Lieferkette durch einen “sauberen Mittelsmann” einfach eine Station zu verschieben.

Die Wirklichkeit des Lieferkettengesetzes – jenseits aller Beschwerden – ist genau dass, was man in einer parlamentarische Demokratie (gottseidank) erwarten kann: Ein Kompromiss, in dem niemand zu 100% das bekommt, was er gerne hätte, insgesamt aber ein Fortschritt in die richtige Richtung gemacht wird.

8. Gibt es für Unternehmen auch positive Auswirkungen?

Der größte Pluspunkt für Unternehmen, die das Thema proaktiv und umfassend angehen, ist ein Imagegewinn bei den Verbrauchern.

Weiterführende Links

Entwurf des Gesetzestextes

Nationaler Aktionsplan – Umsetzung der UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte (2016–2020)